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Basel (SEg/Schweiz), Genom Arkologie - 09:47 Uhr, 11. April 2069

Seine Stimme klang euphorisch.
Mathis Armin Iselin, enddreissiger, blondhaariger Hüne und Präsident der GC-Arche, sowie Division Manager Genom Switzerland war in seinem Element.
Die AR-Konferenz hatte er so gut wie in der Tasche.
Physisch alleine in seinem weiträumigen Büro, unterhalb der Luftschiffanlegestelle der Arkologie, trat er entschlossen vor die imposante Glasfront, hinter der ihm Basel zu Füßen lag und hob theatralisch die Arme.
„Und nun läuten wir das Highlight des Monats ein! Kommen wir zum diesjährigen Ostermontag-Sonderschlussverkauf 2069, dem Höhepunkt des extrem umsatzstarken Oster-Events in der 4M-Grotte. Auf sechs Stockwerken Kaufrausch pur!"
Es klopfte.
Verwirrt hielt der Präsident der Genom Arkologie inne und brauchte einen Moment, bis er das Geräusch identifiziert hatte.
„Ja?"
Er wandte sich der Türe zu.
Obwohl diese noch verschlossen war, ragte der Firmenausweis-ARO desjenigen der geklopft hatte hindurch und leuchtete in sattem hellgrün, was ihn als absolut vertrauenswürdig auswies. Er wies die Person des weiteren als Emil Schiltknecht, stellvertretender Chef der RA&PM Abteilung aus.
Mathis schlug allen Konferenzteilnehmer eine kurze Pause vor und klinkte sich aus dem Konferenzkanal aus, wechselte auf den Division Manager Frequenzbereich.
„Herein!"
Noch während sich die Türe öffnete, fächerte sich der ARO des stellvertretenden Chefs komplett auf. Zusätzlich zu dessen arbeitsrelevanten Daten und Statistiken, erfuhr so Mathis, dass E. Schiltknecht noch zweieinhalb Jahre bis zur erzwungenen Pensionierung mit 76 fehlten, er scheinbar noch nie zu spät zur Arbeit gekommen war und sich sein Überstundensaldo im tiefroten Bereich bewegte.
Ein hagerer, blasser Mann trat ein. „Hallo, mein Name ist Emil Schiltknecht, stellvertretender Chef der Abteilung für Risikoanalysen und Präventivmassnahmen."
Darüber hinaus war vermerkt, dass vor über einem Jahr seine Frau gestorben, und er seitdem drei Mal bei Routinechecks wegen zu hoher Blutalkoholkonzentration negativ aufgefallen war.
„Entschuldigen sie bitte die Störung, aber Ihr Vorgänger bestand darauf, dass wir ihn persönlich informieren, wenn Gryff in die SEg einreisen würde. Und ließ diese Order ausdrücklich auch nach seinem Rücktritt weiter laufen!"
Neben dem Managersiegel seines Vorgängers, der die Aussage bestätigte, und mit dem er sehr wahrscheinlich auch an Marie-Thérèse vorbeigekommen war, waren auch die wenigen Freizeitaktivitäten und Mitgliedschaften in den Arche-Vereinen des Mannes vermerkt. Wobei Mathis etwas unangenehm auffiel. Was war Philatelie?
„Gryff?"
Vielleicht war es besser, wenn er einen gewissen Abstand von diesem Emil hielt. Man wusste ja nie...
„Ein Runner, Sir!"
„Sagt mir im Moment nichts…"
„Hier…"
Emil Schiltknecht hielt die linke Handfläche hoch und aktivierte darauf in der AR eine Trid-Aufzeichnung eines Mannes, der von drei in schwarz gekleideten Kämpfer umstellt wurde. Zwei von diesen flankierten ihn mit gesenkten MPs von hinten, während der dritte vor ihm irgendetwas am erläutern war.
Der Mann sah ausgefranst, alt und verschlissen aus. Irgendwie entsprach diese verwahrloste Erscheinung überhaupt nicht dem Bild, das der Präsident von einem gefährlichen Schattenläufer erwartet hätte.
„Er ist der Zürcher Securitas bei der Einreise mit der Swissmetro aufgefallen. Einige Fahrgäste monierten scheinbar seine störende Präsenz in der ersten Klasse. Sein ID^S identifiziert ihn als Sascha Schmezer."
„Ich sehe…" Mathis versuchte beiläufig eines der angehängten Datafiles des Mannes zu öffnen, erhielt jedoch bloß unleserlichen Datenmüll, „Was?!?"
„Entschuldigen sie bitte, aber die Daten sind noch nicht upgegradet worden. Alle Files datieren noch von vor dem Crash!"
Mathis Armin Iselin nagelte seinen Untergebenen mit seinem Blick fest.
„Die sind mindestens 5 Jahre alt?!? Haben wir nichts Aktuelleres über diesen Gryff?"
„Nein Sir, der letzte Schattenlauf den wir ziemlich sicher mit ihm in Verbindung bringen können, datiert vom 25. September 2062!"
Plötzlich hatte die Stimme des Präsidenten einen unangenehmen Unterton.
„Der Kerl ist doch ein Mensch, oder... Wie alt ist er inzwischen?"
Das Trideo endete, als die drei Männer in Vollmontur ihre Waffen wegsteckten und Gryff/Sascha Schmezer aus dem Bild marschierte.
„Ein menschlicher Wechselbalg um präziser zu sein. Was das Alter betrifft, haben wir leider keine empirischen Daten. Aber laut ID^S 57."
„So… und wieso war mein Vorgängern der Meinung, dass es wichtig wäre, dass ich über ihn informiert werde?"
„Er ist einer der besten Schattenläufer dem Genom bisher begegnet ist. Ein Meister im Nahkampf und im Umgang mit Waffen. Auch soll er in der Arche und den Katakomben ein- und ausgegangen sein, wie es ihm beliebte! Wir gehen davon aus, dass er im Besitz von Material und Wissen ist, das Eigentum der Genom Corporation ist und von solch kritischer Beschaffenheit, dass damit ein beträchtlicher Schaden angerichtet werden könnte!"
Diese Tatsachen überzeugten den Präsidenten von der Notwendigkeit der Störung.
Er klang zum ersten Mal zufrieden. „Sehr gut gemacht. Wo ist er?"
„Im Moment in Zürich!"
Mathis war baff.
„Wie bitte? Er wurde nicht aufgegriffen? Wieso hat man ihn nicht schon dort unschädlich gemacht?"
„Er hatte ein gültiges Billet!"
Der Präsident verdrehte die Augen und Emil Schiltknecht versuchte zu relativieren. „Es existieren nur Verdachtsmomente gegen ihn und er hat sich in seiner bisherigen Karriere legal nie etwas zu schulden kommen lassen,„ er schluckte trocken, während er weiter sprach, "des weiteren fand das ganze Intermezzo auf öffentlichem Grund und unter den Augen unzähliger Zivilpersonen statt. Dabei provozierte er aber Securitas scheinbar dermaßen, dass sie ihn unter aktiver Beobachtung gestellt haben. Wir sind also stets informiert, wo er sich gerade aufhält!"
Jetzt war der Unterton in der Stimme des Präsidenten schneidend und gefährlich. „Was spielt das für eine Rolle? Wenn er eine Gefahr darstellt; gehört er unschädlich gemacht. Eliminieren sie diesen Idioten oder schaffen sie ihn gefälligst her!"
Mathis fuhr dem stellvertretenden Chef über die Handfläche und entzog ihm die Datei, ließ das Trideo noch einmal laufen.
„Wie konnten sie bloß bei etwas so einfachem versagen? Schauen sie ihn sich doch an. Er mag vielleicht mal eine große Nummer gewesen sein. Aber heutzutage?
Lässt sich von den Pappmaché-Soldaten der Securitas erwischen und fährt erste Klasse in der SwissMetro, wo wir das dichteste Netz an Überwachungskameras und Gesichtserkennungssensoren haben."
Mathis wechselte in der AR auf die SwissMetro-Sicherheitsebene und rief durch das Genom-Portal etwa ein Dutzend Portraits von Gryff ab, die ihn jeweils nachdenklich, völlig ausgebrannt oder gähnend darstellten. Eines davon zeigte ihn sogar ohne Brille, hatte der Computer darauf seine Augen bereits als SURGE Klasse II–Expression klassifiziert.
„Mir ist zwar immer noch ein Rätsel, was an diesem Senior so gefährlich sein soll. Nicht einmal seine Cyberarme besitzen laut Oberflächenscanner geheime Fächer oder integrierte Waffen!"
Das letzte Bild zeigte Gryff, wie er irgendwie abwesend seine keramikweißen Hände betrachtete.
„Aber wenn er wirklich was weiß, ist es absolut unverzeihlich, dass sie diesen Freak nicht schon aus dem Verkehr gezogen haben! Und kommen sie mir ja nicht mit rechtsstaatlichen Interessen oder Persönlichkeitsrecht. Auch wenn er inzwischen eine echte SIN besitzen sollte, was ich bezweifle; stellt er sich uns in den Weg, gilt er als Hindernis. Und Hindernisse werden ohne Rücksicht auf Verluste beseitigt! Das solltet ihr von der RA&PM Abteilung besser als alle anderen wissen. Vor allem sie, Herr Emil Schiltknecht!"
Mathis beruhigte sich ein wenig, als sein Blick zu einer der unzähligen Uhren im Raum wanderte.
„Na ja, er ist wohl harmlos. Wirkt schon ziemlich deplatziert in der heutigen Zeit. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie so etwas in den Schatten überleben soll!"
Der Präsident wandte sich ab und begann zur Glasfront zurück zu laufen.
„Würden sie bitte ihren direkten Vorgesetzten hierüber informieren und dafür sorgen, dass die RA&PM Abteilung diesen Sascha Schmerzer aufgreift und zwecks Intensivbefragung in die Arche bringt. Und falls es dabei irgendwelche Komplikationen gibt, eliminiert ihn. Das würde uns dann wenigstens die Kosten der Datenkonvertierung ersparen!"
Mathis blieb stehen, als er bemerkte, dass Emil Schiltknecht immer noch unschlüssig dort stand.
„Sie dürfen mir die Nachricht auch persönlich überbringen Emil, dass dieser Gryff tot oder in unserer Gewahrsam ist. Ansonsten ist unser Gespräch hiermit beendet. Sie können gehen!"
„Ja Sir!"
Und der stellvertretende Chef der Abteilung für Risikoanalysen und Präventivmassnahmen ging.
Mathis schauderte es. Irgendwie behagte ihm diese Philatelie jetzt noch weniger.
Bevor die Türe komplett zu glitt, ergriff er noch den Firmenausweis-ARO Emils und zog sich eine Kopie davon in das Büro.
Er vermerkte in dessen Qualifikationsfeld noch ein ‚inkompetenter Arsch', signierte dies und wechselte den beruflichen Status kurzerhand auf ‚gekündigt'.
Erst dann fiel ihm die recht lange Liste an geschäftsinternen Verdiensten und Belobigungen auf.
Mit einem selbstgefälligen Lächeln korrigierte er das ,gekündigt' nun auf ‚pensioniert auf Ende Monat'.
Dann wechselte er wieder in den Konferenzkanal.