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Der l. Flug des Greifen 2-XX

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Thereallobezno's avatar
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St. Moritz Dorf, Frühling 2069

Es herrschte eine angespannte und hoffnungslose Atmosphäre.
Kaum jemand der anwesenden Frauen hatte etwas zu Mittag gegessen oder spürte irgendwelchen Hunger. Auch der kleine Imbiss, den ‘Berend vorbei gebracht hatte war unberührt zur Seite gestellt worden.
Und allgemein waren auch alle Vorbereitungen für das wichtige Treffen, das in ein paar Stunden stattfinden sollte, zum Erliegen gekommen. Denn kaum jemand rechnete noch damit, dass die Unterredung noch notwendig sein würde.
Die meisten von ihnen hatten das Unterfangen um Parda aus den Fängen Genoms zu befreien in Gedanken bereits beerdigt.
Vielleicht außer Heidi Famos, die wie eine Sphinx im Raum saß und inzwischen nur noch Rätsel aufgab.
Sie behauptete zwar, sie wäre gekommen um ihnen zu helfen, aber außer einigen rätselhaften Antworten hatte sie bisher nicht viel beigetragen. Und niemand der anderen Frauen traute sich ihres Ranges wegen, sie wegzuschicken oder sie nach ihren wahren Beweggründen zu fragen.
Miriam und zwei weitere niederrängige Berghexen arbeiteten zwar immer noch an ihren Terminals, aber inzwischen blickten sie häufiger zur Uhr, als auf ihre Displays. Oder zur Elfe, die inzwischen ziemlich abgekämpft und erschöpft wirkte.
Noch traute sich niemand ein Wort über AristoC.A.T.S. Zukunft zu verlieren. Aber es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein…
Unruhig tigerte Verena hin und her. „Verdammter Mist! Ich hätte es ihm nicht geben, es ihm nicht sagen dürfen. Ich wusste genau, dass ihn das endgültig aus der Bahn werfen würde!“
Zum x-ten Mal wandte sich Miriam ihr zu. Doch ihre Stimme klang inzwischen nicht wirklich überzeugend. „Ich wiederhole es immer wieder Verena. Mach dir doch nicht solche Sorgen! Wenn er wirklich ein so guter Runner ist wie du sagst, wird er seinen Job trotzdem zu Ende führen!“
Verena blieb schwer seufzend stehen und sah mit besorgter Miene hoch. „Ihr versteht es nicht… sein ganzes Leben lang hatte er nur ein einziges Ziel, einen zentralen Fokus. Und stets klammerte er sich auch an den kleinsten Strohhalm, solange noch ein Schimmer Hoffnung bestand…“
Sie schluckte schwer.
„Und das habe ich ihm nun endgültig genommen!“
Verzweiflung spielgelte sich in ihren Augen.
„Eigentlich war das Genom. Und das schon vor einigen Jahren!“ Meldete sich Heidi unerwartet zu Wort.
Die Elfe nickte bloß automatisch und drehte allen den Rücken zu. „Vielleicht sollte ich mich endlich bei ihm melden!“
„Wieso?“
„Um ihn meine… unsere Anteilnahme durch zu geben!“
Miriam war aufgestanden. „Aber er hat es ja wegen dir erst jetzt erfahren. Wenn du nicht gewesen wärest, wüsste er es doch schon längst!“
Verena blickte darauf Miriam gleichzeitig vernichtend und hilfesuchend an. „Ich weiß… aber…“
„Hätte er es gewusst, wäre er wohl nicht bereit oder nicht mehr da gewesen um uns zu helfen…“
Meinte Heidi Famos mit einem undeutbaren Unterton.
Verena kniff hierauf die Augen zu. „War das eine Spitze gegen mich?“
Die uralte Hexe wirkte überrascht. „Nein.. wieso, ich wollte doch nur sagen, dass…“
Grüblerisch kam dafür Miriam jetzt zu ihr nach vorne. Ihr Blick wirkte härter als je zuvor. „Soll das heißen, dass du es ihm nicht gesagt hast, weil du ihn dir ‚warm‘ halten wolltest? Du hast mit ihm auch nur gespielt?“
Die Elfe schoss wie ein verwundetes Tier herum. „Nein! Ich wollte ihm den Schmerz ersparen…“
Miriam wollte gerade etwas erwidern, als Heidi ihren Unterarm packte, als sie auf ihrer Höhe war. Es war, als geriete sie dabei in eine Stahlzwinge. Verwirrt blickte die junge Berghexe das uralte Mütterchen an, als diese mit einer beängstigende Gewissheit den Kopf schüttelte.
Verena wollte gerade etwas zu den zwei Frauen sagen, als sie erschrocken inne hielt und dann verunsichert aufsah. Dabei machte sie eine Handbewegung, als führe sie ein archaisches Mobiltelefon ans Ohr. „Er ist es!“
Alle hielten den Atem an.
Einen Augenblick zögerte sie, dann aktivierte sie die AR-Funktion ihres Kommlinks und leitete den eingehenden Anruf auch auf die AR-Leinwand im Raum weiter, so dass alle das Gespräch verfolgen konnten. Was jetzt auch kommen würde, sie wollte es nicht alleine durchstehen müssen.
Das Bild das sich ihnen darauf bot war unerwartet.
In einem verwüsteten Zimmer – im Hintergrund war ein total zerstörter Wandspiegel zu sehen - saß ein müder und ausgebrannter Pius mit nacktem Oberkörper an der Bettkante. Seine Haare waren noch nass und streng nach hintern gekämmt, während seine Cyberarme auf den Oberschenkel ruhten und er leicht nach vorne lehnte. Deswegen lag ein Großteil seines Gesichtes im Schatten und wirkten dabei seine Augen wie dunkle, bodenlose Löcher. Nur manchmal, wenn sich seine milchigen Nickhäute hoben und senkten, funkelten kurz die goldenen Iriden wie verlorene Punkte darin auf.
Miriam pfiff bei diesem Anblick kurz vor Verwunderung auf und kassierte einen giftigen Blick der Elfe.
Denn zu seiner Rechten stand eine atemberaubende junge Frau mit lebendigen braunen Haaren und derart intensiv glühenden, grünen Augen, dass diese teilweise ihr faszinierendes Gesicht überstrahlten. Stumm hatte sie ihre zierliche Hand auf der linken Schulter des Mannes, rührte sich aber ansonsten nicht. Weder grüßte sie, noch meldet sie sich anderweitig zu Wort.
„Wunderschön… dein alter Mann hat echt Geschmack…“ murmelte Miriam noch, als Verena sie mit einem Blick förmlich an Ort und Stelle umbrachte. Die junge Berghexe erstarrte dabei mit leichenblassem Gesicht.
Währenddessen wandte sich die Elfe, tief Luft holend, Pius zu und nahm gleichzeitig aus den Augenwinkeln wahr, wie sich Heidi Famos erhob und näher kam.
Die Elfe fand bei diesem Anblick vor allem extrem irritierend, dass die Hose dieser faszinierenden Menschenfrau neben Pius durchnässt war. Vor allem im Schritt…
„Pius… wie geht es dir… mon ami?“
Der Mann schüttelte langsam den Kopf. „Was soll ich sagen… außer dass ich dir trotz allem dankbar dafür bin. Ich wäre eigentlich lieber tot… aber dennoch schulde ich dir etwas! Danke, dass du mir endlich Gewissheit verschafft hast…“ die folgenden Worte flüsterte er nur noch „ und mir meine absolut letzte Hoffnung genommen hast…“
Ihre Nackenhaare sträubten sich, als sie sah, wie die junge Menschenfrau ihre Hand beruhigend über seine Schulter wandern ließ.
„Ich… wollte…“
Verena fühlte nun einen riesigen Knoten im Hals und zum ersten Mal in ihrem Leben fehlten ihr die Worte.
Pius lächelte sie zwar an, doch in diesem Lächeln war nur noch Bitterkeit. „Keine Angst, meine Königin,“ die Elfe biss die Zähne zusammen, „ich werd’s überleben… wie ich auch immer alles überlebt habe. Weißt du, eigentlich hätte ich dort sein sollen… ich hätte für sie sterben sollen. Nicht einfach wegrennen… ihre Leben waren etwas Wert und sie hatten wenigstens eine Zukunft. Aber sogar für das war ich zu feige…“
Die fremde Frau beugte sich zu ihm vor, doch er fasste sich schnell wieder, sah kurz dankbar zu ihr hoch und atmete tief durch.
„Es tut mir so unendlich leid…“
War das einzige, das Verena nun über die Lippen brachte und als sich ihr Blick mit dem der grünäugigen Schönheit neben Gryff traf, wusste sie, dass nicht nur sie so empfand.
„Ist schon gut... ich bin nun mal ein alter, hässlicher Knochen. Und weißt du, was mit einem Knochen passiert, wenn man ihn erneut bricht und dann sich selber überlasst?“
Er kniff die Augen zu und schluckte schwer. „Aber deswegen melde ich mich nicht. Denn trotz allem, hast du stets Wort gehalten und mich nie enttäuscht. Auf dich und die anderen war immer verlass… Wer bin ich, dass ich noch diese letzte Spur Menschlichkeit, die mir verbleibt aufs Spiel setzen soll?“
Fragend sah sich die Elfe darauf um. Und musste dabei feststellen, dass, während Miriam sie selber fragend ansah, Heidi Famos weinte.
Gryffs Monolog ging weiter.
"Nun, ich bin mir absolut bewusst, dass ich mit meinen kommenden Taten Schwüre und Versprechen breche, die eigentlich heilig wären. Und vor allem spucke ich damit all jenen auf ihre Gräber, denen ich in ihrer verzweifelten Stunde mein Wort gab und die sich deswegen heldenhaft für mich opferten. Mir wird stets bewusst sein, dass sie damit absolut vergebens einen qualvollen Tod starben. Und schlussendlich breche ich auch damit jenes Versprechen, das mir in meiner dunkelsten Stunde die Hoffnung war, dass ich was Besonderes wäre… und wofür selbst Umcir sein Leben gab!“
Seine Stimme hatte inzwischen die Schärfe einer Klinge. Und es schien, als hülle ihn eine kaum wahrnehmbare Schwärze ein.
„Aber schlussendlich spielt es keine Rolle mehr… denn mein Leben ist nun nichts mehr wert. Was ich war, was ich bin und was man irgendwann über mich denken wird, spielt wirklich keine Rolle mehr. Nicht einmal ob ich lebe oder sterben…“
Er sah auf und Verena wich instinktiv einen Schritt zurück. So hatte sie Pius noch nie erlebt. Er wirkte ihr fremd und machte ihr vor allem Angst.
„Aber eines kann ich noch tun. Eine Möglichkeit habe ich noch, meinem verpfuschten Leben einen letzten Sinn zu geben… und das werde ich auch! Auch hierfür gilt dir meinen unendlichen Dank, meine Königin! Dass du mir in meiner dunkelsten Stunde die Möglichkeit gibst, nicht einfach nur so wie ein Versager zu verblassen, sondern wie ein wahrer Runner seine letzte Schlacht zu schlagen!
Ich bitte dich nur darum, dass du dich an unseren Teil der Abmachung hältst und sowohl die Hilfe der Hexen organisierst, wie auch einen Hacker, der dich an dem betreffenden Abend zum Artefakt führt!
Um alles andere werde ich mich kümmern. Mach dir keine Gedanken und vor allem keine Sorgen mehr… ich glaube endlich einen Weg gefunden zu haben, wie ich die Matrixsicherheit der Arche dermassen auf Trab halten werde, dass sie zu sehr beschäftigt sein werden, um sich dir gross in den Weg zu stellen. Möglicherwiese wirst du sogar ohne jegliche Probleme rein kommen. Und was der magische Schutz der Arkologie betrifft…“ kurz spiegelte sich Wahnsinn in seinen Augen, “lass das gänzlich meine Sorge sein!“
Verena wollte etwas erwidern, als er mahnend den Finger in die Luft streckte. „Aber eines möchte ich hier und jetzt klar stellen: Was geschehen wird, ist einzig und alleine meine Schuld!
Wie auch immer es ausgeht und was auch immer überliefert bleiben wird. Ich habe es im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte getan und ich nehme jegliche Verantwortung auf mich! Denn ich tat es im Wissen, dass ein solches Verbrechen nie gesühnt werden kann… sollte mich Parda eines Tages dafür hassen, dass ihre Errettung einen so hohen Preis gekostet hat, so soll sie! Verübeln kann ich es ihr nicht. Und ich erwarte auch nicht, dass sie mich verstehen soll…“
Als wäre endlich eine große Last von seinen Schultern genommen worden, wirkte er nun versöhnlicher. „Aber sag ihr zumindest, dass ich dank ihr als Runner sterben durfte, der all das geschafft hat, was man von ihm erwartete… da es mir verwehrt blieb, als Mann, liebender Ehemann oder Vater leben zu dürfen!“
Die Elfe schüttelte nun heftig den Kopf und versuchte sich zu fassen.
Irgendwie lief das Ganze nicht gerade so ab, wie sie es sich auch nur im Entferntesten vorgestellt hatte. „Pius, bist du dir sicher? Übertreib es jetzt bitte nicht, wir brauchen dich noch!“
Er nickte und dieses Mal war sein Lächeln warmer als zuvor. „Keine Bange, ich weiß genau was ich tue. Und vor allem, wie weit ich gehen kann…“
Jetzt meldete sich erstmals wieder Miriam zu Wort. Und sie sprach aus, was den meisten Frauen auf der Zunge lag. „Gryff, dir ist klar, dass du keinen Chance gegen Genom hast. Wenn du einen Krieg gegen sie vom Zaun brichst, wirst du verlieren!“
Während Verena drauf nur nickte, schien Gryff erstmals wieder Mut zu fassen. „Keine Angst Mäitlì. Ich will vor allem Parda lebend da raus holen. Das hat absolute Priorität. Und genau das werde ich auch tun! Haltet ihr euch an euren Teil der Abmachung und wir werden es schaffen! Und vor allen will ich Genom nicht vernichten, das wäre wirklich Wahnsinn…”
Die Elfe schien erleichtert.
„Ich will Genom nicht töten... ich will es leiden sehen! Melde dich wieder, wenn du einen Hacker gefunden hast!“
Und die Verbindung wurde unterbrochen.
„Pius? … Gryff?“
Während nun Verena verunsichert versuchte eine neue Verbindung aufzubauen, war jetzt Heidi Famos zu hören, wie sie sich die Tränen abwischte und tief Luft holte. „Es ist endlich so weit, es hat angefangen…“ meinte sie nun und machte sich auf zu gehen.
Verena und Miriam sahen sie fragend an.
„Es ist wegen Pius. Er weint nicht mehr und er wird es auch nie wieder tun. Darum tue ich es für ihn, für das was er ist und für das, was er sich nun aufbürden wird. Aber lasst uns nun keine Zeit mehr verlieren. Denn wir wissen jetzt genau was zu tun ist!“
Miriam nickte zwar, sah aber verunsichert dem alten Mütterchen zu, wie es mit sich selber redend weg ging. Ihr war dabei, als spielte sich gerade um sie herum etwas ab, von dem sie nur am Rande etwas wahrnahm und das um einiges wichtiger war, als sie erahnen konnte.
Sie legte der Elfe zusichernd die Hände auf die Schultern. „Es … ist doch besser gelaufen… als wir befürchteten, oder? Er wird sich schon fangen… er klang vielleicht ein wenig wirr im Moment. Aber wenn verwundert es bei dieser Situation. Aber zumindest müssen wir uns nicht sorgen machen, das er alleine verzweifelt!“
Verena sah erneut die Berghexe vernichtend an.
„Würde mich echt interessieren, wer das Flittchen hinter ihm war….“ Murmelte sie dabei.
Miriam grinste sie bloß an.
Dann löste sich die Elfe aus dem Griff und verschränkte die Arme, es fröstelte ihr. „Aber momentan frage ich mich etwas anderes…“
Miriam gab nun ihren Kolleginnen ein Zeichen, als sich Verena unsicher mit der Hand durch ihre Haare fuhr. „Einen Augenblick lang hat er mir wirklich verdammt Angst gemacht. Du glaubst mir vielleicht nicht, aber ich habe mich kurzzeitig wirklich gefragt, ob man Genom vielleicht warnen müsste?“
Und falls man sich gefragt hatte, ob Gryff aufgeben würde...
Scheinbar nicht.
© 2013 - 2024 Thereallobezno
Comments1
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NikitaTarsov's avatar
Oh, was schweres....
Da scheinen doch noch ein paar Feinheiten zu sein die noch nicht ganz offenbar sind.