Der l. Flug des Greifen 2-VIIe

Fadschr, das Morgengebet, war schon längere Zeit vorbei, als ein unangenehm lautes Piepen den monotonen, minimalistischen Rhythmus syrischer Jazz-Musik störte.
Gerrit al-Ghafur legte nun unschlüssig das Mundstück einer Wasserpfeife beiseite und aktivierte seine AR-Linsen. Während er nun die Teilnahmebestätigung für den Sammelruf von RED ONE bestätigte, zog er nachdenklich eine Augenbraue hoch.
Irgendwie war ihm gestern schon so gewesen, dass dieses kurze Intermezzo während des Shutdowns nicht alles hätte sein konnte.
Sorgfältig klappte er hierauf die uralte Hardcopy eines in aramäisch verfassten Zauberbuches zusammen und legte es beiseite. Dann erhob er sich aus dem Schneidersitz und rollte den Teppich zusammen, auf dem er gesessen hatte.
Gewissenhaft wurde alles in dem Abteil für magische Ausrüstung verstaut.
Nachdenklich fuhr er noch einmal über die Sennehknoten aus denen der Sitzteppich geflochten war und genoss dessen Leuchten im Astralraum. Manchmal fragte er sich, wie der Teppich wohl für jemanden aussah, der problemlos in den Astralraum blicken konnte.
Vielleicht würde er einmal Rose fragen, ob sie ihn ihm in seiner ganzen Pracht beschreiben könnte.
Als es zu anstrengend wurde und er die Konzentration zu verlieren begann, liess er vom askenen ab und wandte sich mondänere Dinge zu.
Sich die Augen reibend, versuchte er sich dabei erneut einzutrichtern, dass es absolut sinnlos war, sich über seine Zeit in Zürich und dem, was ihm die Magische Retrogenese angetan hatte aufzuregen.
Aber den Begriff selber hasste er aus dem Tiefsten seiner Seele.
Euphemismen waren nun mal eine Eigenart der westlichen Kultur, die er zu verabscheuen gelernt hatte.
Kurz hielt der knapp eineinhalb Meter grosse Mann mit blauschwarzem, krausem Haar inne und atmete mehrfach tief durch. Dabei blickte er nachdenklich an sich hinunter.
Der graumatte Thawb, den er nun trug, war eines der bequemsten Kleidungsstücke die er besass.
Er musste grinsen.
Es war auch ein Geschenk von einem seiner Teammitglieder zu seinen 17. Geburtstag gewesen. Und es war eigentlich ein weiterer Beweis, dass Marie-Louisa wohl die Oberflächigkeit in Person war.
Aber was soll's, er war luftig und leicht und von einer angenehmen synthetischen Konsistenz.
Sollte er sich umziehen?
Noch einmal blickte er traurig zum Teppich hinüber und schüttelte dann entschlossen den Kopf.
Entweder sie akzeptierten es oder es war ihr Problem!
Es war also wieder einmal Zeit, einem Haufen asoziale und rücksichtslose Elemente zu zeigen, wo der Hammer hing!
Er blickte dabei auf das Genom Logo auf den Ärmel seines knöchellangen und langärmeligen Gewandes und seufzte.
Wohl zum Nutzen der Menschlichkeit und der Barmherzigkeit der Einwohner der Arche gegenüber, wie es dieses arrogante Arschloch eines Kampfmagiers wohl auszudrücken pflegte…
Aber die Lektion hatte er bereits gelernt. Mann hatte sie ihn förmlich ins Fleisch gebrannt. Im Jahre 2069 war inzwischen jeder sich selbst am nächsten. Und wer nicht rücksichtlos genug war, kam verdammt schnell unter die Räder.
Wie hiess es so schön, man lebt wie man stirbt; alleine!
Als er sich zur Türe aufmachte, levitierte er noch seine Shisha an ihren Platz und versiegelte das Abteil für magische Ausrüstung. Danach levitierte er die dazugehörige Sicherheit - Magschlosskarte in seine Hand und verstaute diese sicher.
Na ja, zumindest konnte er jetzt seiner neuen Familie erneut seine Loyalität und seine Dankbarkeit bezeugen, indem er einige armseligen Schattenläufer über die Klinge springen ließ. Dann würde man ihn in diesem wunderbaren Land wieder für einige Zeit in Ruhe lassen und sogar dafür entlohnen, dass er einst Allahs Gabe empfangen hatte!
Kurz hörte er noch der glänzend reinen Frauenstimme zu, die wie altes Silber von Schatten getönt war und schaltete dann wehmütig aus der Ferne die Aufzeichnung ab.
Es war wieder einmal Zeit für die abendländische Kultur.